Das Reizdarmsyndrom (RDS), auch Irritable Bowel Syndrome (IBS) genannt, ist eine der häufigsten Dysfunktionen des Versauungstrakts, bei der das gesamte Verdauungssystem beeinträchtigt sein kann. Auch nach gründlichen ärztlichen Untersuchungen lässt sich keine organische Ursache für die belastenden Symptome finden, was die Situation für die Erkrankten sehr schwierig macht.
Etwa 20 % der Bevölkerung in Industrieländern sind betroffen, wobei Frauen etwa doppelt so häufig leiden wie Männer. Die Beschwerden treten zum ersten Mal meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf und können über Monate bis Jahre anhalten. Häufig wird ein Zusammenhang mit einer früheren Darminfektion und Antibiotikaeinnahme festgestellt.
Aktuell wird das Reizdarmsyndrom als eine Fehlfunktion der sogenannten Darm-Hirn-Achse verstanden. Dabei ist die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem, dem vegetativen Nervensystem und dem Darm gestört, was sich in veränderter Darmmotorik und einer erhöhten Immunaktivität der Darmschleimhaut äussert.
Das Reizdarmsyndrom wird anhand drei Kriterien definiert. Erstens, sollen Bauchschmerzen oder Blähungen länger als drei Monate bestehen oder sie treten immer wieder auf und stehen im Zusammenhang mit Stuhlgangsveränderungen. Zweitens, sind die Beschwerden so stark, dass Betroffene ärztliche Hilfe suchen oder die Lebensqualität relevant beeinträchtigt wird. Und drittens, dürfen keine anderen Krankheitsbilder vorliegen, die die Symptome besser erklären könnten.
Je nach vorherrschenden Symptomen wird das Reizdarmsyndrom in vier Typen eingeteilt: Reizdarm mit überwiegender Verstopfung (IBS-C), Reizdarm mit überwiegendem Durchfall und häufigem Stuhlgang (IBS-D), Reizdarm mit wechselnden Phasen von Verstopfung und Durchfall (IBS-M) und Reizdarm, der nicht eindeutig in eine der Kategorien passt (IBS-U).
RDS zeigt eine Vielzahl typischer Symptome, die sich individuell unterschiedlich äussern, aber meist über mindestens drei Monate andauern. Zu den Hauptbeschwerden gehören Bauchschmerzen und krampfartige Schmerzen im Unterbauch, die oft durch Stuhlgang gelindert werden können. Blähungen und ein unangenehmes Völlegefühl werden häufig von hörbaren Darmgeräuschen begleitet.
Häufig kommt es zu Veränderungen des Stuhlgangs, die sich in Form von Verstopfung, Durchfall oder einem Wechsel zwischen beiden äussern können. Man hat das Gefühl, den Darm nicht vollständig entleeren zu können, und Schleimbeimengungen im Stuhl sind ebenfalls möglich.
Diese Beschwerden treten vermehrt nach dem Essen auf und können durch Stress verstärkt werden. Wurde zu viel gegessen, reichen die Verdauungsenzyme nicht aus. Als Folge kann es zu Fäulnis- und Gärungsdyspepsie kommen.
Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Sodbrennen, Aufstossen sowie psychische Belastungen wie Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen sind ebenfalls häufig. Obwohl die Symptome oft die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, sind sie jedoch nicht lebensgefährlich.
Die Ursachen des Reizdarmsyndroms sind vielfältig und nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken.
Bei Reizdarmpatienten kann die Nahrung den Verdauungstrakt entweder zu schnell oder zu langsam passieren, was zu Durchfall bzw. Verstopfung führt. Störungen im enteralen Nervensystem (ENS), auch „Bauchhirn" genannt, können zu unsynchronisierten Darmbewegungen führen.
Die gestörte Darmflora spielt ebenfalls eine Rolle. Eine Darmfehlbesiedlung, bei der schädliche Bakterien überwiegen, kann zu vermehrter Gasbildung, Blähungen und Schmerzen führen.
Reizdarmpatienten haben oft eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit im Darm, möglicherweise aufgrund einer veränderten Serotoninregulation, die die Schmerzwahrnehmung beeinflusst. Wird das Darmnervensystem bei einem Reizdarm stimuliert, kann die Regulation der ausgeschütteten Botenstoffe nicht mehr richtig vorgenommen werden. So nehmen Erkrankte ihre Darmbeschwerden stärker wahr und empfinden Schmerz, während gesunde Menschen diese Reize nicht wahrnehmen.
Eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut („Leaky-Gut-Syndrom“) erleichtert das Eindringen von Fremdstoffen und Krankheitserregern, was zu Immunreaktionen führen kann.
Auch eine erhöhte Immunaktivität spielt eine Rolle bei der Entstehung der Reizdarmes. In der Darmschleimhaut von Betroffenen kann eine erhöhte Anzahl von Immunzellen und Entzündungsmediatoren festgestellt werden.
Postinfektiöses Reizdarmsyndrom kann durch bakterielle Infektionen des Verdauungstrakts wie Campylobacter jejuni oder Clostridium difficile ausgelöst werden. Auch eingenommene Antibiotika können die Darmflora schädigen und so einen Reizdarm begünstigen.
Psychische Faktoren wie Stress, Depressionen und Angsterkrankungen können die Symptome des Reizdarms verstärken. Es wird auch eine Fehlsteuerung des autonomen Nervensystems in Verbindung mit psychosomatischen Störungen diskutiert.
Stress und Angst können Reizdarm-Symptome tatsächlich verursachen und verstärken. Oft manifestieren sich Momente im Leben von Betroffenen, die als besonders belastend empfunden werden, kurz bevor die Symptome des Reizdarmsyndroms evident werden. Wenn Stress, Ärger oder Angst das zentrale Nervensystem aktivieren, werden Stresshormone freigesetzt, die wiederum die Nervenzellen in der Darmwand stimulieren. Dies beeinflusst die Verdauungsprozesse und kann zu typischen Beschwerden wie Durchfall, Verstopfung, Blähungen und allgemeinem Unwohlsein führen.
Zudem besteht ein Irrkreis: Das Reizdarmsyndrom selbst kann Stressreaktion und Ängste auslösen, die die Symptome weiter verschlimmern. Studien zeigen, dass viele Patienten zusätzlich unter Angststörungen und Depressionen leiden. Psychische Faktoren wie Nervosität, chronische Erschöpfung und belastende Lebenssituationen wirken sich negativ auf die Darmfunktion aus und können das Reizdarmsyndrom begünstigen.
Die enge Verbindung zwischen Gehirn und Darm – oft als „Bauchhirn“ bezeichnet – erklärt diesen Zusammenhang. Über Nervenfasern kommunizieren Darm und Gehirn ständig, wodurch Gefühle und Verdauung eng miteinander verknüpft sind. Deshalb zählt das Reizdarmsyndrom zu den psychosomatischen Erkrankungen, bei denen psychische Belastungen direkt körperliche Beschwerden verursachen oder verstärken können.
Daher ist es für Erkrankte wichtig, den Stresspegel im Alltag möglichst zu reduzieren, um die Symptome zu lindern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Bei dieser Ernährungsweise, die oft bei Reizdarm empfohlen wird, geht es darum, bestimmte Kohlenhydrate und Zuckeralkoholezu reduzieren oder zu vermeiden, um die Symptome zu lindern. FODMAP ist die englische Abkürzung für „fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole”. Da gewisse Enzyme, welche für die Spaltung der FODMAPs im Dünndarm essenziell sind, bei den Betroffenen fehlen oder zu gross sind, um die Passage durch die Darmwand zu bewältigen, werden sie im Dünndarm nur unzureichend resorbiert und erreichen stattdessen den Dickdarm. Sie werden im Dickdarm durch Darmbakterien fermentiert. Dabei entstehen Gase und es kommt zu Wasseransammlungen. Eine solche Diät kann die Beschwerden des Reizdarmsyndroms deutlich lindern.
Die Diät besteht aus drei Phasen. In der Restriktionsphase, die 4 bis 8 Wochen dauert, werden alle FODMAPs streng vom Speiseplan gestrichen. Während der Restriktionsphase kann man folgende Lebensmittel essen: mageres Fleisch und Fisch, Aubergine, Tomate, Fenchel, Zucchini, Gurke, Blattsalat, Rucola, Trauben, Kiwi, Ananas, Honigmelone, Reis, Kartoffeln, Quinoa, Polenta, Sojamilch, grüner Tee, Pfefferminztee.
In der Reexpositionsphase werden einzelne zuvor gemiedene Lebensmittel schrittweise wieder eingeführt, um die individuelle Verträglichkeit zu testen. Und in der Erhaltungsphase wird basierend auf den Testergebnissen ein langfristiger Ernährungsplan erstellt, der nur die unverträglichen FODMAPs einschränkt. Die Verträglichkeit gegenüber den einzelnen FODMAPs wird im Laufe der Zeit geändert, sodass es von Zeit zu Zeit notwendig sein kann, die Diät anzupassen.
FODMAPs finden sich in vielen Lebensmitteln, darunter bestimmte Getreidesorten (Weizen, Roggen, Gerste), Gemüse (Erbsen, Bohnen, Linsen, Zwiebeln, Lauch, Brokkoli, Artischocken, Kohl), Obst (Äpfel, Birnen, Mangos, Wassermelone) und Milchprodukte (Milch, Joghurt, Käse). Auch Zuckeralkohole wie Sorbitol, Mannitol, Xylitol und Maltitol, die in einigen Obstsorten und zuckerreduzierten Produkten vorkommen, gehören dazu.
Es ist wichtig, diese Diät unter ärztlicher oder ernährungstherapeutischer Begleitung durchzuführen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden und die individuelle Verträglichkeit optimal zu ermitteln. Eine FODMAPs-Tabelle kann bei der Zusammenstellung des Ernährungsplans helfen.
Eine glutenfreie Ernährung kann bei Reizdarm helfen, aber Gluten ist nicht grundsätzlich ein Auslöser für Reizdarm-Symptome. Viele Betroffene vermuten, dass Gluten oder Weizen ihre Beschwerden verursachen. Wenn sich die Symptome nach dem Verzehr von Getreideprodukten verschlimmern, sollte ein Arzt zunächst andere Erkrankungen wie Zöliakie oder Weizenallergie ausschliessen. In diesen Fällen ist ein vollständiger Verzicht auf Gluten bzw. Weizen erforderlich.
Einige Menschen mit Reizdarm leiden unter sogenannter Glutensensitivität und reagieren empfindlich auf Gluten, auch wenn keine Zöliakie vorliegt. Dies kann nur durch ärztliche Untersuchungen festgestellt werden. Experten empfehlen einen Verzicht auf Gluten nur bei einer nachgewiesenen Glutensensitivität.
Die Diagnose des Reizdarmsyndroms erfolgt vor allem durch eine sorgfältige Ausschlussdiagnostik, da es keinen spezifischen Test gibt, der das Reizdarmsyndrom direkt nachweist.
Zunächst führt der Arzt ein ausführliches Gespräch (Anamnese) mit dem Patienten, um das Beschwerdebild, die Dauer der Symptome und mögliche Auslöser zu erfassen. Anschliessend folgt eine körperliche Untersuchung, bei der der Bauch abgetastet, abgehört und der Darmausgang untersucht wird. Ein Ernährungstagebuch kann zusätzlich helfen, Zusammenhänge zwischen Nahrungsmitteln und Symptomen zu erkennen.
Wichtig ist das Ausschliessen anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können, wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), Zöliakie, Darmkrebs, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Infektionen.
Hierfür werden verschiedene Untersuchungen eingesetzt: Laboruntersuchungen von Blut, Stuhl und Urin (z. B. Calprotectin-Test zur Abklärung entzündlicher gastrointestinaler Erkrankungen, Nachweis von Blut im Stuhl, Parasiten), Ultraschalluntersuchung des Bauchraums, Darmspiegelung (Koloskopie) zur Untersuchung der Darmschleimhaut und zum Ausschluss von Tumoren oder Polypen. Darüber hinaus werden Tests auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Laktose- oder Fruktoseintoleranz) durchgeführt und eventuell auch weitere bildgebende Verfahren wie CT oder MRT.
Erst wenn alle organischen Ursachen ausgeschlossen sind und die Symptome über mindestens drei Monate bestehen, kann die Diagnose Reizdarmsyndrom gestellt werden. Die Diagnose stützt sich dabei auch auf die sogenannten Rom-Kriterien, die typische Symptomkombinationen definieren (z. B. Bauchschmerzen im Zusammenhang mit Stuhlgangsveränderungen).
Mit diesen Tipps können Sie aktiv dazu beitragen, Ihre Lebensqualität trotz Reizdarm zu verbessern. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich – probieren Sie aus, was Ihnen persönlich am besten hilft! Ein bewusster Umgang mit Körper und Geist, gepaart mit moderner Medizin, kann den Weg zu mehr Wohlbefinden und Lebensqualität trotz Reizdarm ebnen.